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Architekt und Baumeister Kurt Hennenberg
aus Döbeln wurde mit dem Umbau von
Schloss Weißig beauftragt
Am 30. Dezember 1942 verkaufte die Besitzerin
des Weißiger Schlosses, Margot von Zehmen, auf
Druck des faschistischen Staates das stattliche
Gebäude samt nebenstehendem Fachwerkhaus für 155.000,- Reichsmark.
Ihre finanzielle Situation ließ ihr auch keine andere Wahl. Ihr Ehemann,
Georg von Zehmen, war als erster Weißiger Bürger am 10. Januar gleichen
Jahres an einer Kriegsverwundung verstorben.
Zur Familie gehörten zwei minderjährige Kinder. Die Haupteinnahmen vom
verpachteten Steinbruch flossen schon seit 1930 nicht mehr, die
landwirtschaftlichen Flächen waren verpachtet, Teich- und
Forstwirtschaft brachten nur noch geringen Betrag.
Als Käufer trat der "Reichsbund für Deutsche Jugendherbergen e.V. Berlin"
in Erscheinung, eine Organisation der Hitlerjugend. Aber an die
Umgestaltung des Schlosses als Jugendherberge war schon lange nicht mehr
zu denken; die Jugend verblutete auf Hitlers mörderischen Schlachtfeldern.
Zunächst war daran gedacht, im Schloss ein "HJ - Umschulungslager für
auslandsdeutsche Mädchen" einzurichten. Dann wiederum ein
"Vorschulungslager."
Architekt Kurt Hennenberg
Den Auftrag für die Umgestaltung erhielt dazu der Architekt und Baumeister Kurt Hennenberg, Döbeln Zwingerstraße 43.
Sicher hätte sich ein Architekt eine bessere Aufgabe gewünscht, als beispielsweise alte Gutshöfe, Herrenhäuser und
Schlösser zu Notunterkünften für Kriegszwecke umzubauen.
Schloss Weißig, gelegen im "Bann Kamenz", war nicht sein einziges Projekt. Im "Bann Döbeln" waren 9 Objekte und im
"Bann Oschatz" weitere 4 Umbauten zu betreuen. Die Aufgabe war selbst für einen erfahrenen Architekten nicht leicht.
Schloss Weißig war 1907/ 1908 relativ billig erbaut worden, jahrelang wurde nichts mehr investiert, es war
heruntergewirtschaftet.
In einer ersten Analyse stellte Hennenberg fest, welche Arbeiten dringend zu erledigen sind:
"Wesentliche Instandsetzung der zumeist schadhaften Betonfußböden, Reparaturen an der Dachhaut, Ersatz der alten
Sickergrube durch Bau einer neuen Abwasseranlage, Reparaturen an Traufen, Fallrohren, Fensterabdeckungen und
Dachbelägen, Umbau der Warmwasser- Heizungsanlage, die in ihrem ganzen Umfange schadhaft, verdorben und nicht
mehr betriebsfähig ist, Ersatz der Heizung in den Obergeschossen durch Öfen, neue Elektroinstallation, tw. neue
Sanitärinstallation, Neuverglasung von etwa 15% der 126 Fenster und Glastüren, Malerarbeiten in allen 70 Räumen und
Treppenhäusern, da die meisten mit düsteren, ornamental gemusterten Tapeten beklebt sind, die meist schadhaft und in
ganzen Flächen verdorben oder abgerissen sind."
Hennenbergs Pläne sehen im Erdgeschoß einen Speiseraum für 96 Personen, ein Zimmer für die Heimleiterin, ein
Gästezimmer und einen "Scharraum" mit 20 Plätzen vor. Im Obergeschoß eine Bücherei, Schreib- und Lesesaal, Arzt
und Krankenstation mit 3 Betten, Unterkunft für Unterführer und Lehrkräfte. Die Schlafsäle für 92 Kinder sind im
Obergeschoß und im Dachgeschoß eingeordnet. Das Personal soll im „Polenhaus" (sprich Fachwerkhaus) einquartiert
werden. Die Kosten für den Umbau werden auf ca. 250.000,- Reichsmark angesetzt.
Die Schlossherrin muss ausziehen
Margot von Zehmen wohnte bis spätestens Herbst 1943 noch im Schloss. Sie bewohnte das Erdgeschoß. Die obere Etage
war bereits leergeräumt, die Heizung nicht mehr funktionstüchtig. In einigen verschlossenen Räumen lagerten noch
Möbel ihrer nach München verzogenen Schwiegermutter Elisabeth von Zehmen.
Jetzt musste Margot auch das Schloss verlassen. Ihre neue Wohnung sollte im Verwaltungsgebäude des Rittergutes
(später der Sitz des Bürgermeisters, heute Kavaliershaus genannt) sein. Dort aber wohnte noch der Forstmeister Ernst,
der seinerseits in das Teichhaus ziehen sollte. Margots neue Bleibe wurde für 7.500,- RM umgebaut. Die gesamte
Elektrik installierte der tschechische Fremdarbeiter Albert Noack neu. Ein Teil der umfangreichen Möbel fand im
ehemaligen Schweinestall des Rittergutes Platz.
Neue Pläne
Aber schon bald erhielt Hennenberg einen neuen Auftrag. In einem Schreiben der NSDAP-Hitler-Jugend, Gebiet Sachsen
vom 4. August 1943 wurde ihm mitgeteilt, dass Schloss Weißig nicht Vorschulungslager, sondern nunmehr
"Jugenderholungsherberge" werden soll:
"Die Arbeiten sollen sofort mit dem geringsten Kosten- und Arbeitsaufwand durchgeführt werden. ...Bauliche
Veränderungen sollen vermieden werden. Bei der Durchführung des Projektes handelt es sich um reine
Instandsetzungsarbeiten, d.h. Trinkwasserversorgung, in Ordnung bringen der sanitären Installation (die vorhandenen
Abortanlagen werden als zusätzliche Klosettanlagen betrachtet, die Hauptabortanlage muss in einem Provisorium im
Park mit Trockenklosetts vorgesehen werden). Ferner wäre noch zu überprüfen, ob elektrische Installations- und
Malerarbeiten erforderlich sind.
Praktisch wird der Arbeitsverlauf so sein, dass zunächst das Teichhaus vorgerichtet werden muss, damit der Förster dort
einziehen kann, anschließend die Instandsetzung der Försterwohnung für Frau von Zehmen".
Hennenberg legte auch dafür Pläne vor. Dazu muss er oftmals vor Ort sein. Sein Sohn, der heute anerkannte
Musikwissenschaftler Dr. Fritz Hennenberg aus Leipzig, darf ihn dabei begleiten. Er erinnert sich gern an die Besuche, an
das Schloss, an den Park und die schöne Umgebung.
Die neuen Pläne sind den alten sehr ähnlich, allerdings in stark abgeschwächter Form der Umbaukosten. Beispielsweise
bei den Sanitäranlagen auf etwa nur 20% der bisher veranschlagten Summe. Dennoch belaufen sie sich auf 45.000,- RM.
Auszug aus den Umbauplänen des Schlosses
vom Architekten Hennenberg Oktober 1943
Architekt Erich Patzer
Gehilfe von Hennenberg wird Architekt Erich Patzer aus Pirna, nach eigenen Angaben ehemaliger KZ-
Häftling (aus welchen Gründen auch immer) und deshalb nicht "frontwürdig" bzw. "wehruntüchtig". Patzer
hat vorzugsweise den Umbau von Schloss Weißig zu betreuen.
Unverständlich für seinen Chef ist die Entlohnung. Während Hennenberg als Hauptverantwortlicher für alle Objekte einen
Stundenlohn von 6,- RM veranschlagen darf, erhält sein Unterstellter 6,50 RM. Patzer ist nicht unumstritten. Hat er schon
Differenzen mit seinem Chef, und nicht nur wegen der Entlohnung, so gerät er auch bei der NSDAP unter Kritik.
In einem Schreiben der zuständigen Bauabteilung vom 24. August 1944 an Hennenberg heißt es:
"Wie wir durch unseren Herbergsleiter Petzschel erfahren, ist seit dem gemeinsamen Besuch mit unserem Bauleiter
Voissem in Weißig keinerlei Kontrolle von Ihnen oder von dem Architekten Patzer in unserer Bauangelegenheit
durchgeführt worden... .
Wir möchten hierzu mitteilen, dass Ihre Arbeit und die Durchführung der beiden Häuser Försterhaus und Teichhaus
bedeutend intensiver war und bitten Sie nunmehr alles daran zu setzen, dass der Bau noch vor dem Einbruch des
Winters abgeschlossen wird, da das Haus unbedingt belegt werden muss. Die Sorgen um die Weiterführung der
Bauarbeiten obliegen z.Zt. im vollen Umfang der Bauabteilung und dem Heimleiter Petzschel".
Auch zwischen Patzer und dem Heimleiter Petzschel gibt es Differenzen. In einem Brief an die "Gebietsführung der
NSDAP-Hitler-Jugend, Gebiet Sachsen" in Dresden vom 3. Februar 1944 beklagt sich Patzer: "... Ich selbst aber
verwahre mich mit aller Schärfe gegen jeden Versuch Petschels, mir gegenüber den Handwerkern das Ansehen und den
Respekt und gegenüber der HJ das Vertrauen zu untergraben. Es sind mir da in Weißig verschiedene Anwürfe Petschels
an mich persönlich und an meinen Mitarbeiter vorgetragen worden, die ich festgelegt habe für eine spätere Verfolgung,
auf die ich aber heute nicht näher eingehen will... .
Auch an meiner Bauleitung verbitte ich mir jede Kritik Petschels und Zwischenträgerei. Wenn ich schon für meine
überdurchschnittlichen Bemühungen in den Bausachen Weißig keine Anerkennung und keinen Dank erwarte, so
verwahre ich mich aber mindestens dagegen, von einem urteilslosen Laien meine Tätigkeit herabwürdigen und
entwerten zu lassen".
Im Herbst 1944 wurde der damals bereits 59-jährige Kurt Hennenberg zum Volkssturm eingezogen. Sehr zu seinem
Unverständnis und Leidwesen, da er, der Ältere, und nicht der weitaus jüngere Patzer, in den Krieg ziehen musste. Aber
Hennenberg hatte sich wegen der schleppenden Bezahlung durch die HJ geweigert, weitere Aufträge zu übernehmen.
Damit ging die Verantwortung für die Umbauten auf Patzer über. Im Oktober 1945 kehrte Hennenberg aus der
sowjetischen Kriegsgefangenschaft zurück.
Wieder Planänderung
Die Ereignisse überschlugen sich; die Front rückte immer näher. An Kinderlandverschickung oder
Jugenderholungsherberge war nicht mehr zu denken. Fieberhaft wurde nunmehr das Schloss zum
"Wehrertüchtigungslager" vorbereitet. Die Baufirma Hermann Wendt aus Kamenz, Wettinstr.12, und einheimische
Handwerker, unter ihnen der Maurerpolier Kuhn aus Weißig, arbeiteten mit Hochdruck.
Zwischenzeitlich wurden im Schloss einige "Goldfasane" (so nannte man ranghohe SA-Funktionäre wegen ihrer gelben,
goldbetressten Uniformen) mit ihren Familien untergebracht. Offensichtlich waren sie vor der heranrückenden Front aus
den ehemals besetzten Ostgebieten geflohen.
Dann begann die Ausbildung im "Wehrertüchtigungslager". 16-jährige Jugendliche aus der Umgebung wurden als letzte
Reserve eingezogen und in 2 - 3 Wochen an Handfeuerwaffen und Panzernahbekämpfungsmitteln ausgebildet. Ihre
Feldbetten und Wehrmachtsspinde wurden im Obergeschoß untergebracht. Tagsüber zog der Trupp mit Panzerattrappen
auf den nahegelegenen Sportplatz zur Ausbildung, baute und besetzte Panzersperren.
Erhard Ziesche aus Weißbach, Jahrgang 1929, erinnert sich:
"Mitte März wurde ich wieder zur Ausbildung eingezogen. Dieses Mal waren wir nicht mehr in Kamenz, sondern wurden
im Weißiger Schloss untergebracht. Im umliegenden Gelände des Ortes wurden wir ausgebildet. Die beiden
Unteroffiziere von der Panzertruppe (Anmerkung: die früheren Ausbilder in Kamenz) waren nicht mehr dabei. Dafür
wurden Siegfried Gräfe aus Königsbrück und Günter Höfgen aus Großröhrsdorf als Hilfsausbilder herangezogen, denn sie
hatten bei der Hitlerjugend Führungsposten inne. Heute bin ich davon überzeugt, dass die ganze Volkssturmausbildung
von der höheren Führung der Hitlerjugend des Kreises organisiert wurde und den so genannten Wehrwolfcharakter
hatte, wie es auch in anderen Orten der Fall war. Der Feldwebel Götz war uns geblieben.
Neben der üblichen Grundausbildung an den Waffen übten wir Minen legen und räumen, auch Angriffsübungen wurden
durchgeführt. Hier im Schloss waren wir gut untergebracht."
Am Morgen des 20. April 1945, es war ein sonniger und warmer Tag, begann der sowjetische Angriff auf den Kamenzer
Flugplatz. Gleichzeitig wurden polnische Aufklärer am Ortseingang von Weißig gesichtet. Vom Schlossturm konnte man
alles gut beobachten.
Ziesche erinnert sich weiter: "Jetzt wurde es ernst. Alle HJ-Ausweise haben wir schnell verbrannt. Es bestand die Gefahr
der Gefangennahme. Heute ist mir klar, wenn man uns erwischt hätte, dann wären wir bestimmt erschossen worden,
denn wir standen außer Kriegsrecht, was wir nicht wussten, und waren des „Wehrwolfs" verdächtig. Fälle von
Erschießungen um den Raum Bautzen hat es gegeben, beiderseits - von Deutschen und Russen.
Alles was wir an Waffen, Munition und Materialien hatten, haben wir auf Karren geladen und sind durch die Wälder und
zwischen den Teichen in Richtung Biehla und Cunnersdorf gezogen".
Alles, was Räder hatte, wurde zur Flucht benutzt. Der damals 13-jährige Helmut Prescher war an diesem Tage mit dem
Fahrrad seiner Mutter im Dorf unterwegs, als ihn Feldwebel Götz anhielt und ihn bat, das Fahrrad mal kurz zur
"Aufklärungsfahrt" zu leihen. Natürlich konnte man so einer militärischen Respektsperson diese Bitte nicht abschlagen.
Helmut hat den Feldwebel und das Fahrrad nie wieder gesehen. Wer weiß, was aus beiden geworden ist.
Das Ende des Krieges
Weißig wurde kampflos eingenommen; es gab keine Gegenwehr und damit auch keine Kriegsschäden. In das nunmehr
leere Schloss zogen Flüchtlinge ein.
Im Herbst wurde die Schule ins Schloss verlegt, gleichzeitig ein Altersheim, und später ein Kinderheim eingerichtet. Im
Zuge der Bodenreform wurde das Schloss 1947 volkseigen und ab 1948 der Gemeinde Weißig unterstellt. Architekt
Patzer lebte bis zum Kriegsende noch bei Frau von Zehmen in Weißig. Später versuchte er erfolglos, wieder bei
Hennenberg in Döbeln mitzuarbeiten. Hennenberg hatte selbst kaum Arbeit.
Für die am Umbau des Schlosses Beteiligten war das Kapitel zum Kriegsende noch nicht beendet. Offensichtlich war die
HJ als Bauherr sehr zahlungsunwillig. Baumeister Hermann Wendt aus Kamenz, der mit seiner Firma bis Frühjahr 1945
Bauarbeiten am Gebäude ausgeführt hatte, beklagt in einem Schreiben vom 19. Juli 1945 an Architekt Hennenberg die
noch ausstehende Summe von 3.241,19 Reichsmark in der Hoffnung auf Erstattung.
Aber der Krieg war endlich zu Ende, das Dritte Reich zerstört, Millionen Menschen ermordet, verkrüppelt oder
verschleppt, Wirtschaft und Kultur in Europa zerstört. Wer sollte für diese Verbrechen aufkommen?
Manfred Prescher Dresden, Juni 2010
Quellenverzeichnis:
- Archiv von Dr. Fritz Hennenberg 04109 Leipzig, Reichsstraße 13
- Erhard Ziesche, Weißbach Die letzten Kriegsmonate 1945 in "Lausitzer Almanach",
Sonderausgabe zum 65. Jahrestag der Befreiung vom Hitler- Faschismus
- Veräußerungsmitteilung über den Verkauf eines Herrenhauses und eines Zweifamilienhauses
vom 30. Dezember 1942, Geschäftsz. UR 298/42
- Einheitswertbescheid (Eigentumswechsel) vom 11. Januar 1949
- Archiv Manfred Prescher, Dresden